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Obdachlosigkeit – Wieso bei uns?

„Düsseldorf ist eine reiche Stadt. Da sollte es keine Obdachlosen geben!“ 

„Düsseldorf ist eine reiche Stadt. Da sollte es keine Obdachlosen geben!“

Tja, wie oft habe ich das schon gehört. Und möchte es so gerne glauben. Aber die Wirklichkeit ist anders.

Dafür mögen es viele Gründen geben, und die Stadtverwaltung hat sie alle parat. Denn für alles gibt es eine Zuständigkeit.Die Wirklichkeit ist anders. Wie oft steht bei uns einer vor der Tür, der nicht mehr weiter kann und schon mit einem Bein in der Obdachlosigkeit steht! Gefangene, entlassen mit nur wenig Geld, und bis alle Formalitäten auf den Ämtern erledigt sind und dann mit Monatsverzug die erste „Stütze“ kommt, hängen sie auf der Straße, sind oft genug obdachlos; Mieter, die wegen Mietrückstand von zwei Monaten und mehr herausfliegen, sitzen oft genug auf der Straße und sind zuerst einmal obdachlos; Selbständige, bei denen es wirtschaftlich schief gelaufen sind und die die Schulden erdrücken, finden sich ebenso oft genug auf der Straße wieder, und wer Alimente zahlen muss und die Arbeit verliert, hat ebenfalls schlechte Karten. Dies sind nur einige Fallbeispiele.



Es wäre verkehrt, entweder nur den einzelnen anzuprangern, der sich auf der Straße wiederfindet, und ihm nachzusagen, er habe sich nicht genügend gemüht, oder die Gesellschaft für alle Obdachlosigkeit in Haftung nehmen zu wollen, als ob administrativer oder politischer Geiz oder Geringschätzung es versäumt hätten, diesem sozialen Problem einen Riegel vorzuschieben. Es ist ein Zusammenspiel vieler einzelner Faktoren, deren Zusammensetzung bei jedem anders aussieht, deren Ergebnis aber gleich ist: Der einzelne verliert den alten Halt und landet auf der Straße, an deren Bedingungen er sich nach und nach anpasst. Dabei sind es nicht einfach nur Einzelfälle, die sich häufen, sondern die behördliche Statistik selbst weist auf ein Anwachsen dieser gesellschaftlich Marginalisierten hin. Es sind immerhin inzwischen über sechs Prozent, die vom Wohlstand nur die Kehrseite sehen. Tendenz: steigend. Und das macht Angst. Auch bei Ihnen?

Mit dem gutenachtbus unterwegs - Bericht einer typischen Nacht



Obdachlose? Menschen auf der Straße – über Tag oder gar nachts? Unwillkürlich denken wir dabei an Notunterkünfte… an erster Stelle. So hat es auch bei uns begonnen – Und es gelang! Gemeinsam mit der Straßenzeitung fiftyfifty als Eigentümer des künftigen Autos  wurde die Alternative geplant – und umgesetzt. Und sie hatte einen Namen: „gutenachtbus“ – ein Mercedes-Sprinter, eigens mit entsprechender Gestaltung, für die Nacht auf der Straße mit Ehrenamtlichen, als Anlaufstelle für Obdachlose und Menschen ohne Unterkunft. Seinen Einstand hatte er in einer Nacht, die ich nicht mehr vergessen werde. Denn es war der Nikolaustag, der 6. Dezember. Seitdem ist er immer unterwegs, an vier Nächten pro Woche, ohne Unterbrechung.


Montag, 21.00 Uhr

Längst ist Volker in der gutenachtbus-Küche am Werk:
Der Warmwasserbehälter ist gefüllt und angestellt, damit rechtzeitig um viertel vor zehn die acht 3-Liter-Thermoskannen bis oben hin gefüllt sein werden, und die gespendeten Brötchen vom Becker sind ebenso schon in zwei großen Kisten verpackt – eine für die Altstadt, die andere für die zweite Station des gutenachtbusses in der Nähe des Hauptbahnhofes -. Auch der gespendete Kuchen ist schon proportioniert auf dem Blech in den Trageboxen, genauso wie die vom Großhandel täglich abgeholten belegten Brötchen, die von der Schulspeisung übrig geblieben sind. Kontrolliert ist auch, dass genügend Instantkaffee, Tee, Milch, Instantsuppen mitgenommen wird. Nicht zu vergessen ebenfalls die vorbereiteten Schlafsäcke, Isomatten, Decken, die Boxen mit Schuhen, Unterwäsche für Mann und Frau, Strümpfen, Windjacken, kurz: alles was für das Übernach-ten auf der Straße benötigt wird. Inzwischen sind auch die ersten ehrenamtlichen Helfer des gutenachtbusses einschließlich des Fahrers da, der den von weitem kenntlichen Mercedes-Sprinter vom Parkhaus zum Basislager in der Schirmerstraße 27 bringt, um fachkundig beladen zu werden. Da staune ich nicht selten, was alles darein geht und für die Verteilung bereitgelegt wird!Nach einem letzten Schwätzchen zum „Aufwärmen“ und Sich-Austauschen unter den Ehrenamtlichen, bevor es Zeit zum Aufbrechen ist, geht es dann los im Sprinter, von einigen Fahrrädern eskortiert, zur Altstadt zwischen dem Kommödchen und der Andreaskirche. Dort wartet schon die erste Traube an der Stelle, an der der gutenachtbus immer hält, um für die Nacht versorgt zu werden. Zwei der Ehrenamtlichen holen derweil noch von einer Restauration warmes Essen ab, das jeden Montag gespendet wird. Zwischenzeitlich beginnt schon die Ausgabe von Gebrauchtkleidern, Schuhen, Schlafsäcken usw. hinten am Bus, und alles unentgeltlich bis auf einen Sicherheitsobolus von 50, Cent pro Schlafsack, damit ein gewisser Schutz gegeben ist, dass die Schlafsäcke nicht gehortet oder gar später wieder verscherbelt werden. Es ist mehr symbolisch, um so die Eigentumsübertragung an den Empfänger deutlich zu machen.



Inzwischen ist auch das warme Essen da. Es wird nach dem Öffnen der breiten Seitentür von den Ehrenamtlichen zusammen mit den gewünschten Getränken und Brötchen ausgegeben. Gibt es eine Bedürftigkeitskontrolle? Wir müssen sagen: nein. Denn wer sich um diese Zeit anstellt und einen Kaffee, einen Tee haben möchte, bekommt ihn auch. Und nicht selten passiert es, dass dann jemand, der nicht so bedürftig ist, dann sich großzügig revanchiert und einen Schein in die Spendendose steckt, die wir immer dabei haben. Wir finden das cool und richtig: großzügig sein und Großzügigkeit zu-
rück erhalten. Aber eine solche Bitte von jemanden, der nicht auf der Straße lebt, ist eher selten. Dafür kennen wir umgekehrt „unsere Pappenheimer“ nur zu gut. Viele kommen wieder – unregelmäßig, wie ja auch das Leben auf der Straße von großer Unregelmäßigkeit und Momententschlüssen geprägt ist. – Dabei geht es uns nicht darum, dass die insgesamt gute Versorgungslage für Obdachlose über Tag nachts nochmals getoppt wird, sondern das Ziel ist die Gastfreundschaft, die offene entgegengestreckte Hand: „Du bist uns willkommen!“ Und: „Wir könnten auch in Deiner Haut stecken.“ Aus diesem Grund ist die Bereitschaft zum Gespräch mit den „Klienten“, wie die Sozialarbeiter sagen, für uns ganz wichtig, um zu signalisieren: Wir nehmen Dich ernst. Wir sind als Menschen dieser Stadt auf gleicher Ebene, wie auch unser OB immer wieder betont, der gern abends spät einmal zum gutenachtbus kommt. Ob Professorin, Doktorin der Theologie, hochspezialisierte IT-Fachkraft oder arbeitsloser Ehrenamtlicher, all das zählt nicht, und keiner fragt danach. Das „Du“ verbindet alle.



Um kurz nach 23.00 Uhr geht es weiter in die Nähe des Hauptbahnhofes, wieder derselbe Ablauf, und schon wieder warten sie auf uns. Dabei strahlt auch  die Nähe des Hauptbahnhofes aus: Mehr Nicht-deutsche, zuweilen auch aus der Drogenszene. Aber durchweg genauso dankbar, genauso bereit sich an- zustellen. Und wenn dann die Uhr auf halb eins zu-geht, wird es ruhiger, und ein letztes Zeichen vom Bus: „Letzte Runde“ für die Ausgabe der Getränke und des Essens sowie der Kleidung. Danach rascher Aufbruch und Rückfahrt ins Parkhaus. Erneut eine Nacht, ein Team von Ehrenamtlichen, das den Schlaf geopfert hat, um für ihre bedürftigen Mitbürgerinnen und Mitbürger nachts draußen da zu sein. Morgen wird es ein anderes Team tun, an vier Nächten pro Woche, unter der Leitung eines Koordinators, der dafür sorgt, dass alles reibungslos von statten geht und die vie-len Telefonate beantwortet, die gerade im Winter von besorgten Mitbürgern an uns gerichtet werden: „Da und da liegt jemand, was soll ich tun?“ Fachkundig Antwort zu geben ist das eine, selbst hinfahren das andere. Beides geschieht, vor allem im Winter bei absinkenden Temperaturen.



Aber eigentlich ist unsere wichtigste Zeit der Sommer, wenn die Tage lang und warm sind und sich der Kontakt mit den Obdachlosen von selbst ergibt. Denn dann wächst Vertrauen von Mensch zu Mensch – ein Vertrauen, das oft genug der Schlüssel dafür ist, dass man es nochmals versucht, die oft genug erfahrene Hoffnungslosigkeit zu überwinden und einen erneuten Anlauf zu nehmen, um aus der Obdachlosigkeit herauszukommen. Offen gesagt, das ist schwerer als gedacht, und ohne einen Menschen des Vertrauens geht es so gut wie nie. Die Ehrenamtlichen sind solche Menschen, denen man sich anvertraut. Und darüber sind wir glücklich – das ist unsere Mission.

Obdachlosigkeit – Was kann man dagegen tun?

Nun, das jedem als Erstes einfällt, scheint einfach zu sein: Hilfe für die Grundbedürfnisse von Essen, Trinken, Hygiene, Schlafplatz für die Nacht. Aber sehr bald wird uns klar: Das ist nur ein erster Schritt, und es sind nicht wenige, die dabei helfen. Aber er löst nicht das Problem. Denn das geht tiefer.Wer tief verschuldet ist und dadurch auf der Straße landet kann es mit Almosen nicht schaffen wieder ins normale Leben zurückzukehren. Über Schuldenberatung und soziale Dienste hinaus braucht es auf Dauer eine eigene Wohnung um die Straße zu verlassen.

Aber eine Wohnung in Ballungsgebieten mit hoher Wohnungsnachfrage zu bekommen ist für Obdachlose nahezu unmöglich. Wie also damit weiterkommen?



Offen gesagt: Wer ein Patentrezept in unserer Gesellschaft dagegen sucht, hat es schwer. Es sei denn, er stellt unsere Gesellschaftsstruktur und ihre Hilfsansätze ebenso in Frage wie das Prinzip der sogenannten Leistungsgesellschaft, die den einzelnen sozusagen nach seinem „Marktwert“ bemisst. Dies zu tun mag es viele und gute Gründe geben, aber die Chance, als einzelner oder als Gruppe Systemwechsel herbeizuführen ist gering – und mit welchen menschlichen Kosten das verbunden wäre, kann man sich kaum ausmalen. Wie gesagt, als Zusammenspiel vieler persönlicher und gesellschaftlicher Faktoren ist Obdachlosigkeit eine Situation, die uns alle betrifft – als Opfer und zum Teil auch Mittäter die einen, als von der Solidarität Geforderte die anderen. So jedenfalls erfahren wir uns in vision:teilen. Dabei wissen und sehen auch wir, dass es auf der anderen Seite auch Verursacher der Obdachlosigkeit Dritter gibt, die beispielsweise im Mietbereich nur auf ihr Interesse schauen und jede gesetzliche Handhabe nutzen, auf Kosten anderer sich zu verbessern oder zu bereichern. Auch das ist im Blick, und zum Glück gibt es Gruppen und Treffen, bei denen mitmachen und die sich dem Thema der „Miethaie“ juristisch, aber auch öffentlichkeitswirksam stellen.

Im Alltag des gutenachtbusses stehen dagegen die praktischen Fragen im Vordergrund: Wie vermeide ich Obdachlosigkeit und Verarmung ohne Auffangnetzt? Wie gehe ich mit dem Hauptfaktor, der vielfachen Verschuldung, um? Wie schaffen wir es, denen, die langfristig auf der Straße gelandet sind, eine Chance für eine eigene Wohnung zu geben, so dass die Obdachlosigkeit sich für sie erledigt (auch wenn viele Verhaltensweisen und die „Liebe zur Straße“ als Ort der Begegnung im Alltag weitergeht)?

Wir in vision:teilen versuchen es auf mehreren Wegen: durch die aufsuchende Hilfe für Vereinsamte und Verarmte mit Hilfe unserer Ehrenamtlichen und zweier Sozialarbeiterinnen in „hallo nachbar“, wobei Vorbeugung sowohl unmittelbare Hilfe zur Abwehr unmittelbarer Notstände einhergeht mit sozialarbeiterischer Betreuung und Vermittlung an weiterhelfende Stellen und soziale Dienste Hand in Hand gehen, und neuerdings in enger Anlehnung an und Nutzung der mehrjährigen Erfahrungen der Straßenzeitung fiftyfifty mit „Housing First“. Damit ist das Konzept gemeint, angesichts der geringen Chance von Obdachlosen, in einem schnell wachsenden Ballungsgebiet wie Düsseldorf eine Wohnung zu finden, den um - gekehrten Weg zu beschreiten: Wohnungen seitens des sozialen Trägers, also vision:teilen, zu erwerben und sie per Mietvertrag an Obdachlose unter fachlicher Begleitung langfristig zu vermieten. Ein noch neuer Zweig, aber hoffnungsvoll!

Redaktion// Br. Peter Amendt und Daniel Stumpe