Wohnungslose: Steigerung von Jahr zu Jahr

Eine Stellungsnahme zum veröffentlichten Wohnungslosenstatistik NRW für das Jahr 2019

 

Die vor wenigen Tagen veröffentlichte Wohnungslosenstatistik NRW für das Jahr 2019 bedrückt. Denn zum einen zeigt der Anstieg der von den Kommunen und freien Trägern betreuten Wohnungslosen seit 2011, dass sich hier ein Jahr für Jahr steigendes Problem zusammenbraut, für das offenbar bisher keine überzeugende Lösung parat ist oder politisch durchgesetzt werden konnte. Waren es 2011 noch 15.826 derart erfasste Wohnungslose in NRW, so ist diese Zahl bis 2019 auf atemberaubende 46.610 Betroffene gestiegen. (https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/minister-laumann-menschen-ohne-wohnung-sind-haeufig-unsichtbar-und-schutzlos

Der Hinweis darauf, dass in den letzten beiden Jahren der Anstieg unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass zahlreiche anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge nicht auf dem Wohnungsmarkt zu vermitteln waren, ist eine partielle Erklärung, die letztlich nur eins deutlich macht: Hier haben sich zwei ungelöste Probleme gegenseitig verstärkt.

Dabei ist offenkundig, dass die eigentliche Not dahinter viel umfassender ist. Der häufig gehörte Hinweis darauf, dass vielfach der Mangel „bezahlbaren Wohnraums“ für viele, die sich früher zur Mittelschicht gerechnet hätten, ein wichtiger Grund für steigende Obdachlosigkeit ist, ist sicher richtig. Aber er reicht für die Erklärung nicht aus. Letztlich spielt die zunehmende Spaltung der Gesellschaft im Rahmen der technologischen Entwicklung und der damit einhergehenden Einkommenskonzentration eine entscheidende Rolle. Denn die Spaltung führt dazu, dass die Entwicklung an vielen vorbeigeht und zu einem faktischen Abstieg führt. Dieser Abstieg betrifft so manchen, der früher als Teil der (unteren) Mittelschicht galt: viele Selbständige, viele einfache Angestellte, kleinere und mittlere Beamte wie Polizisten und Busfahrer und viele andere mehr.

Es ist wahr: Die Kosten des Wohnraumes haben innerhalb des Warenkorbes immer mehr an Gewicht gewonnen und vielfach ist diesbezüglich kein Halten in Sicht. Aber letztlich ist es das unzureichende Einkommen, das mehr und mehr Mitbürgerinnen und Mitbürger in die Verschuldung drückt und sie aus angestammten Wohnlagen vertreibt, so dass, wenn alles schief läuft und die Spirale der Verschuldung nicht mehr zu bewältigen ist, am Ende die Wohnungslosigkeit droht.

Natürlich ist da der Ruf nach „bezahlbarem Wohnraum“ nur allzu gut nachvollziehbar, wenn es darum geht, das Ungleichgewicht von Einkommen und Warenkorb zu verringern, und natürlich ist der Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt eine Folge davon.

Es wäre aber zu kurz gegriffen, dem Wohnungsmarkt allein oder vorrangig die Schuld an diesen sozialen Verschiebungen zu geben. Sie sind Folge von Verteilungsprozessen in der Gesellschaft, die diese mehr und mehr spaltet. Denn letztlich geht es darum: Wie kann sichergestellt werden, dass die Einkommensschere nicht weiter auseinandergeht und dass die Politik nicht länger zum Flickschuster einer ökonomischen Entwicklung wird, in der ein Großteil unserer Gesellschaft absinkt und nicht mehr ihren früheren Standard halten kann, ja vermehrt auf die Armutsgrenze zusteuert.

Gerade das laufende Jahr mit den Folgen der Corona-bedingten Rezession dürfte deutlich machen, dass dieser Prozess des Auseinanderdriftens der Gesellschaft sich vermutlich noch beschleunigt – und die Auswirkungen ganz „unten“ bei den Obdachlosenzahlen bedrückend sein werden. Der Preis, den wir alle bezahlen werden, ist sehr hoch – menschlich, sozial, aber auch und ganz offenkundig ökonomisch. Der für viele aus den Fugen geratene Wohnungsmarkt in Ballungszentrum ist nur ein Teil davon, vielleicht noch nicht einmal der entscheidende.

// Bruder Peter Amendt

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