Nebenan

Auszüge aus unserem Beiheft in der fiftyfifty-Strassenzeitung - 10|2020 zum Thema "nebenan"

 

Einsamkeit direkt nebenan

 

„Wie geht es Ihnen?“ Wir hören diese Frage immer wieder, teils echt, teils nur so dahingesagt. Aber viel seltener begegnen wir der Frage: „Können Sie mir sagen, wie es Ihrem Nachbarn /Ihrer Nachbarin geht?“

Bei unserem Einsatzbereich „hallo nachbar!“geht es genau darum: Wie geht es jenen Nachbarn, die sich zurückgezogen haben und vereinsamt sind?

Sicher ist Ihnen diese Frage nicht fremd, denn auch Sie haben vermutlich Nachbarn, von denen Sie oft nicht wissen, wie es ihnen geht. Dabei brennt das Thema, das dahintersteht, auf den Nägeln – die Vereinsamung, das ungewollte Alleinsein. Da fragt man sich unwillkürlich: Wie geht das? Diese Frage stellen wir uns beständig, und wir spüren: Wir müssen da auf immer neuen Wegen dagegen vorgehen. Und dies gerade in Zeiten von Corona, in denen der direkte Kontakt nahezu unterbunden ist.

Aber die unterschiedlichen Wege machen uns Freude. Sie fordern nicht nur immer neu heraus, sie lassen uns spüren: für unsere Nachbarn lohnt es sich, Umwege zu gehen und uns immer wieder Neues einfallen zu lassen. Denn sie sind es uns wert!

 

 

Die Bedeutung von Nachbarschaft in Land und Stadt

Wenn Sie einen Moment die Augen schließen und sich fragen: „Wie sieht gelebte, intakte Nachbarschaft aus?“, dann – so möchte ich wetten – denken wir alle oder zumindest fast alle an eine Dorfidylle: Man kennt sich seit langem, man hilft einander, der Plausch am Zaun gehört dazu, und die Dorffeste, ebenso wie die Dorfkneipe sind – vor Corona! - Zentren der Geselligkeit. Wie aber sieht die Wirklichkeit in vielen unserer Städte aus, in denen doch die meisten von uns leben?

Was bleibt von der Nachbarschaft, wenn unser Leben sich vor allem in der Schule, im Studium, am Arbeitsplatz vollzieht und für ein Zusammensein mit Wohnungsnachbarn gar keine Zeit bleibt – geschweige denn, dass wir diese Nachbarn überhaupt kennen? Wenn überhaupt, dann sind es die Freundeskreise, in denen wir uns zuhause fühlen und wiederfinden, aber nicht die Nachbarn im Haus oder von nebenan.



Kein Wunder, dass dann, wenn wir Nachbarschaft brauchen, sie uns fehlt. Und das oft sehr schmerzhaft. Das spüren alle, die – aus welchen Gründen auch immer – auf ihre vier Wänden verwiesen sind: Blinde, Gehbehinderte, so manche, die ihren Partner verloren haben und nicht weiterwissen. Es sind viel mehr, als wir durchweg denken.

Sie alle haben eins gemeinsam: Sie vereinsamen immer rascher. Und das ist schlimmer als nur allein zu sein. Einsamkeit – und noch mehr der Prozess der Vereinsamung - drückt und drückt und kann Menschen mit innerer Belastung an den Rand der Verzweiflung bringen. Sie stecken im manchmal selbstgewählten und dann nicht mehr zu ändernden eigenen Verlies. Sie warten auf eine Hand, die sich ihnen entgegenstreckt – eine, die leider oft genug niemals kommt.




Genau das ist es, was uns in „hallo nachbar!“ auf den Plan gerufen hat. Wir wollen da, wo Vereinsamung und Einsamkeit erdrückend sind, die Hand der Hilfe ausstrecken. Es sind unsere Ehrenamtlichen, die dies immer durch die Geste tun: „Ich bin für Dich da“. Für unsere „Nachbarn“ in Düsseldorf, die wir erreichen, ist es tatsächlich so, wie wir es oft sagen: „ein Gefühl wie Weihnachten“, wenn sich jemand für sie interessiert. Denn was sie oft genug nicht mehr geglaubt haben, wird jetzt wahr: Sie können dem selbst gebauten oder durch die Umstände erzwungenen Verlies entkommen. Es ist tatsächlich eine Erfahrung, die umwirft!

 

Unterwegs mit Helena und Ilona

„Helena, wie geht es Dir heute?“ Ilona hat angerufen, und Helena mit ihren 70 Jahren hat noch den Hörer in der Hand. Ihr tut es gut, die Stimme von Ilona, 27, zu hören, so wie jeden Donnerstagabend. Denn Ilona, Ehrenamtliche von „hallo nachbar!“ in Düsseldorf, hat „ihre“ Helena ins Herz geschlossen. Sie weiß noch genau, wie es war, als sie zum ersten Mal mit der Koordinatorin von hallo nachbar!, zu Helena kam. Helena hatte letzten Monat bei „hallo nachbar!“ angerufen und gefragt, ob jemand zu ihr kommen könne, sie sei den ganzen Tag allein und sehr blind. Ja, sie sei mit Essen versorgt, und es komme auch zweimal die Woche jemand, um nach dem Rechten zu sehen, aber ansonsten sei sie allein und könne auch nicht die Treppen allein heruntergehen. Es gebe zwar Nachbarn im Haus, aber die kenne sie nicht – bis jetzt habe sie keiner aufgesucht. „hallo nachabar“ hatte Helena versprochen zu kommen und zu schauen, was sich machen lässt. Und sie hat Wort gehalten.



Zwei bis drei Stunden im der Woche sind unsere Ehrenamtlichen bei den „nachbarn“: Das scheint wenig. Und doch ist es für Helena wie ein Sonnenstrahl. Denn mit Ilona kann sie es endlich wagen, die Treppen herunter und unter Leute zu gehen, was sie schon mehrere Jahre nicht mehr geschafft hat.

 

Gemeinsam gegen die Einsamkeit

Von Anfang an, als die ersten Schritte von „hallo nachbar!“ gemacht wurden, war klar: Es geht nur mit Menschen aller Altersstufen, die ein Herz für andere haben, denen der Nachbar oder die Nachbarin nicht egal ist. Gemeint sind die Ehrenamtlichen, inzwischen knapp 80, sei es im Studium, mitten im Beruf oder auch als Rentner oder in Pension. Jeder kann Ehrenamtlicher und Ehrenamtliche sein – er braucht aber das Herz auf dem richtigen Fleck.

Ich wette mit Ihnen: Ganz sicher kennen Sie jemanden, der dann, wenn Sie von ehrenamtlichen Einsatz sprechen, seine „Erfahrung“ beisteuert – nämlich dass er all das schon einmal getan habe, aber er habe nichts dafür zurückbekommen. Gewiss, so kann man es auch sehen. Wer sozusagen einen inneren Tauschhandel erwartet – „Ich helfe Dir, wenn auch Du mir hilfst“ -, bei dem stellt sich schnell die Enttäuschung ein. Denn er möchte ernten, bevor die Saat überhaupt den Boden erreicht hat.

Anders aber dann, wenn wir unsere Zeit spenden, ohne Gleiches zurück zu erwarten. Dann passiert es fast immer: Am Ende fühlen wir uns selber beschenkt – beschenkt von einer Freundschaft, von menschlichen Erfahrungen und Werten, die man nicht kaufen kann. Dann merken wir: Es war nicht vergeblich, was wir getan und was wir eingebracht haben.




Wir bei „hallo nachbar!“ kennen diese Erfahrung – und sind glücklich darüber. Aber zugleich wissen wir auch: Auch wenn Gutes tun nicht vergeblich ist, so muss es organisiert werden, braucht Unterstützung, einen Raum, um sich zu treffen, Telefonate, Internet – kurz: es kostet.

Ohne Frage, „hallo nachbar!“ ist es uns wert – um des menschlichen Glückes willen, das es vermittelt. Aber wir müssen diese Kosten aufbringen, und das geht nur, wenn andere uns helfen.

 

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