Leben nachts - Ein Obdachloser berichtet

Auszüge aus unserem Beiheft in der fiftyfifty-Strassenzeitung - 12|2023 zum Thema "nachtleben"

 

„Bei uns braucht keiner zu frieren. Für jeden gibt es einen Schlafplatz“. Solche Worte von Stadtverwaltungen klingen gut, und statistisch kann es sogar stimmen. Aber derartige Statistiken bilden nicht das tatsächliche Leben ab. Denn wäre es so, dann bräuchte es niemanden zu geben, der in der Kälte nachts auf der Straße ausharrt.

Der Gang nachts durch eine Stadt wie Düsseldorf zeigt: Es gibt sie, die Obdachlosen nachts in der Kälte. Und sie werden sogar mehr. Wenn wir sie fragen, warum sie draußen schlafen, dann haben sie ihre Gründe. Mal sind es schlechte Erfahrungen wegen Diebstahl – angeblich oder wirklich – in den Notschlafstellen, mal sind es die Einlasszeiten, weil jeder bis 20.00h „eingecheckt“ sein soll,  während so manche dann noch unterwegs sind oder durch Flaschensammeln Geld verdienen, mal ist es der „liebste Freund“ des Obdachlosen, der Hund, von dem man sich nachts nicht trennen mag, oder auch als „Pärchen“ möchten sie sich nicht für die Nacht trennen, und schließlich ist nicht jede Notunterkunft barrierefrei für Behinderte. Gewiss, auch Stadtverwaltungen sind zuweilen recht erfinderisch und versuchen, auf diese Hemmnisse einzugehen. Aber alles kann man nicht lösen.

Also bleiben immer welche draußen, gehen nicht in die Notunterkünfte. Dabei wissen wir alle: So manche nasskalte Nacht setzt dem einzelnen gesundheitlich zu, auch wenn das Thermometer noch über Null anzeigt.

Hinzu kommt so manches Trauma, das den und die einzelne begleitet. Was tun?

Es ist eine Herausforderung, die wir am gutenachtbus Nacht für Nacht spüren. Und das bewusst das ganze Jahr. Denn es genügt nicht, im Winter Decken gegen die Kälte zu verteilen, um wirklich der Not zu steuern. Es braucht Hilfe für den ganzen Menschen – und dies das ganze Jahr über. Dabei sind das Zuhören und das gute Wort nicht weniger wichtig als der Schutz gegen die Kälte und das Essen für den hungrigen Magen. Beides gehört zusammen!

 

Leben nachts auf der Straße – Ein Obdachloser berichtet

 

Unsere Mitarbeiterin Zoe hat es wissen wollen: Wie geht es denen, die nachts auf der Straße leben? Sie ist mit dem gutenachtbus ab 22.00h mitgefahren und hat Suny, einen Obdachlosen gefragt, wie es ihm geht.

 

Als ich begann mit Suny zu sprechen schien er stoisch und ernst, doch seine Haltung änderte sich schnell nachdem ich mich vorstellte und von mir erzählte. Als wir auf das Thema Sprache zu sprechen kamen ergriff er sofort das Wort und begann mit mir über Menschlichkeit und Sprache zu philosophieren. Er erzählte, dass er auch früher gut in der Schule war und sich jetzt viel mit Esoterik und Materialismus auseinandersetze.

 

Zoe: Danke Suny, dass ich dich für unser kleines Interview bereit erklärt hast! Lebt ihr schon lange auf der Straße? Und wie kam es dazu?

Suny: Ich lebe schon seit über drei Jahren auf der Straße. Nachdem ich einen psychischen Zusammenbruch hatte, habe ich meine Wohnung verloren und bin ohne Alternativen auf der Straße gelandet.

 

Zoe: Wie häufig besucht ihr den Gutenachtbus und warum?

Suny: Der Gutenachtbus ist für mich unter anderem ein Treffpunkt. Hier kann ich mich gut mit Menschen treffen, die ich auf der Straße sonst kaum erreichen kann. Außerdem achte ich sehr auf Sauberkeit, weshalb ich die Kleidung, die ich abends vom Gutenachtbus bekomme, immer entgegennehme. Insbesondere wenn ich nur selten meine Wäsche waschen kann.

 

Zoe: Wie du weißt, gibt es Notschlafstellen für die Nacht. Warum bist nicht dort? Und wo schläfst du stattdessen?

Suny: Nein, ich besuche keine Notschlafstellen. Mir persönlich ist die Hygiene sehr wichtig, deshalb versuche ich trotz allem sauber und gepflegt zu bleiben. In Notschlafstellen schlafen mehrere Menschen in einem Raum, auch jene, die, durch beispielsweise psychische Störungen, eben nicht mehr darauf achten. Dazu ist die Hilfe zwar gut gemeint, aber lediglich oberflächlich.

Wo genau ich heute Nacht schlafen werde, weiß ich noch nicht, das ändert sich täglich. Ich laufe solange durch die Stadt, bis ich eine passende Stelle finde. An welchen Stellen genau ich meist liege, ist mir zu gefährlich zu sagen. Aber morgens früh von Autos und Straßenfegern mit lautem Gebläse geweckt zu werden, ist keine tolle Erfahrung.

Dank des gutenachtbusses habe ich aber genug, um mir einen Schlafplatz zu basteln, das hilft schon sehr.

 

Zoe: Es gibt immer wieder Leute die sagen: „Wer auf der Straße lebt ist selbst schuld an seinem Schicksal!“. Wie siehst du das?

Suny: Ja und Nein. Es kann passieren, dass man aus eigener Schuld auf der Straße landet, aber meistens liegt es an anderen Dingen. Am schlimmsten ist das mit psychischen Krankheiten. Dort brauchen die Menschen am meisten Hilfe, bekommen jedoch am wenigsten Unterstützung. Hier auf der Straße sind die Menschen für einander da, ziehen sich psychisch aber oft gegenseitig runter.

Ich selber bin tatsächlich dankbar dafür, dass ich auf der Straße gelandet bin. Wir leben in einer so materialistischen Welt, dass es sich für mich eher nach Befreiung angefühlt hat. Insbesondere nachdem ich meinen psychischen Anfall überstanden hatte. Aber das ist absolut nichts für jeden. Viele schaffen das nicht und fallen in eine Art Loch. Und es ist einsam.

Ich selber habe auch Aggressionsprobleme. Das weiß ich. Alleine ist es fast unmöglich dagegen etwas zu tun, aber fast wie durch ein Wunder habe ich es in Therapie geschafft.

 

Zoe: Womit setzt du dich persönlich auseinander? Gibt es etwas Wichtiges, was ihr unseren Lesen sagen möchtet?

Suny: Vielleicht wäre es für viele Menschen gut, wenn sie ihre eigenen Lebensweisen nochmal genau unter die Lupe nehmen. Auf der Straße habe ich das Gefühl vom Konsum befreit zu sein, trotz der vielen Gefahren und Schwierigkeiten die das Leben hier mit sich bringt. Vorher hing der Materialismus wie eine schwere Bürde über mir.

Außerdem bin ich sehr offen mit meinem Drogenkonsum. Ich finde Drogen werden unnötig verteufelt. Ja, es ist unglaublich wichtig, die Kontrolle zu bewahren und zu wissen, wie man damit umzugehen hat, aber Drogen erlauben es mir, die Welt aus neuem Blickwinkel zu betrachten. Insbesondere auf der Straße ist das ein wichtiger Bestandteil meiner Lebensweise.

 

Zoe: Herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast. Nun wünsche ich Dir noch eine gute Nacht ohne Zwischenfälle.

 

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